Lange bevor wir – 2003 – eine Stiftung und – ab 2006 – ein starker Partner der Zivilgesellschaft in Europa wurden, waren wir selbst ein Social Business. 1819 gründete eine Gruppe von Wiener Bürgern einen privaten Verein, um einfachen Leuten die Möglichkeit zu geben, für die Zukunft vorzusorgen und für sich und ihre Familien eine sichere und unabhängige Existenzgrundlage aufzubauen. Geführt wurde dieser Verein von engagierten Freiwilligen in einem Armenviertel. Er war innovativ und offenkundig nachhaltig und nannte sich „Erste oesterreichische Spar-Casse“.
Das ist unsere Geschichte:
1819 eröffnete ein Sparkassenverein die erste Bank in Wien für KundInnen, denen bis dahin die Möglichkeit selbst für ihre Zukunft vorzusorgen, verwehrt war.
Die herausragenden Initiatoren der Ersten oesterreichischen Spar-Casse waren zwei höchst unterschiedliche Persönlichkeiten: der eine ein visionärer, sozial engagierter Vertreter der katholischen Kirche, der andere ein weltläufiger, erfolgreicher Bankier und vormaliger „jüdischer Waisenknabe“.
Johann Baptist Weber war zur Biedermeierzeit katholischer Pfarrer in der Wiener Vorstadtgemeinde St. Leopold. Er war er Diakon in Wien-Lichtental – zu einer Zeit, als Franz Schubert dort seine sakralen Werke zur Aufführung brachte – und Kaplan in St. Peter im Zentrum der Stadt, wo in unmittelbarer Nähe 1823 die Zentrale der Ersten oesterreichischen Spar-Casse entstehen sollte. Johann Baptist Weber wurde 1786 in Wien geboren und war ein Social Entrepreneur, lange bevor dieser Begriff überhaupt existierte. Er gründet mehrere soziale Einrichtungen, darunter einen Kindergarten, ein Armenhaus und zwei Schulen, eine davon eine reine Mädchenschule. Er ist 33 Jahre alt, als er die Idee hat, mithilfe wohlhabender Bürger eine Bank für bedürftige Menschen zu gründen.
Nach der Errichtung der Ersten oesterreichischen Spar-Casse bleibt Weber nicht mehr lange in Wien-Leopoldstadt; er wird erst Pfarrer in Mannswörth, später Schlosskaplan in Schönbrunn. Weber stirbt 1848 in seiner Heimatstadt im Alter von 62 Jahren und wird am Altmannsdorfer Friedhof beigesetzt. In seinen Gemeinden erlebte Weber den durch die Industrialisierung bedingten gesellschaftlichen Wandel hautnah mit. Nach den Napoleonischen Kriegen war Österreich bankrott und im ganzen Land herrschte Armut. Weber machte sich darüber Gedanken, wie er den Menschen, die in Scharen vom Land in die Stadt zogen und nun ihren Lebensunterhalt als Dienstboten, Tagelöhner, Fabriksarbeiter oder einfache Handwerker verdienten, dabei helfen könnte, ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Er war davon überzeugt, dass es mit Wohltätigkeit allein nicht getan war. Deshalb bat er vermögende Bürger seiner Pfarrgemeinde St. Leopold, Beträge zwischen 100 und 1000 Gulden für die Errichtung einer Sparkasse zu stiften. 1819 zählt der Sparkassenverein bereits 55 Mitglieder, deren Einlagen den Grundstein für die am 4. Oktober 1819 eröffnete Erste oesterreichische-Spar-Casse legten.
Bernhard Freiherr von Eskeles war ebenfalls Gründungsmitglied der Ersten österreichischen Spar-Casse. Er wurde am 12. Januar 1753 in Wien als Sohn eines Rabbiners geboren. Bernhard Eskeles der Ältere stirbt im gleichen Jahr. Der Sohn geht mit seiner Mutter Hanna Wertheimer im Alter von 17 Jahren nach Amsterdam, wo er in einem Handelsgeschäft eine Stelle und eine kaufmännische Ausbildung erhält. Ab 1770 führt er bereits ein eigenes Geschäft, kehrt aber 1773 nach Wien zurück. Er wird Teilhaber des Handelshauses von Nathan Adam Arnsteiner und dessen Schwager Salomon Hertz, das bald nur noch als Großhandels- und Bankhaus ‚Arnsteiner & Eskeles‘ firmiert. Die Geschäftsfelder waren Staatsanleihen, Finanzierung von Infrastruktur wie beispielweise die Bahnverbindung von Mailand nach Venedig, Finanztransaktionen, Geldleihgeschäfte und Heereslieferungen. Damit erhielt das Bankhaus eine zentrale Stellung innerhalb des staatlichen Apparats dieser Zeit. Einen Namen macht sich Eskeles als Berater der Kaiser Joseph II. und Franz II.. Er unterzeichnete außerdem im April 1815 eine Bittschrift an den Kaiser Franz I. für die Gleichberechtigung der Juden in Österreich. Der Kaiser lehnt das Gesuch ab. Ein Jahr später, 1816, ist Eskeles Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank und wird deren erster Direktor und Vizegouverneur. Drei Jahre später gehört er mit Johann Baptist Weber zu den Gründern der Ersten oesterreichischen Spar-Casse.
Das Privatvermögen von Bernhard Eskeles wird durch seine Ehe mit der Berlinerin Cäcilie Itzig, einer Schwägerin seines Kompagnons Arnsteiner, bedeutend vermehrt. Er setzt es ein, um dem österreichischen Staat in den Napoleonischen Kriegen hohe Kredite zu gewähren. Aus diesem Grund wird der bereit 1797 in den Adelsstand versetzte Eskeles 1811 zum Ritter und 1822 zum Freiherrn erhoben. Eskeles trägt wesentlich zur Organisierung des europäischen Geldmarkts bei. Außerdem ruft er mehrere wohltätige Stiftungen ins Leben. 1820 erwirbt er ein das Palais in der Dorotheergasse 11, lässt es gründlich renovieren und macht mit seiner Frau Cäcilie den Salon zu einem Treffpunkt von Vertretern aus Kunst und Wissenschaft. Während des Wiener Kongresses 1814/15 zählen Talleyrand, Hardenberg und Wellington zu den Gästen, die auch im berühmtesten Salon der Stadt, bei Cäcilies Schwester Fanny von Arnstein, ein und aus gehen. Im Palais Eskeles ist heute das Jüdische Museum der Stadt Wien untergebracht.
Am 7. August 1839 stirbt Freiherr von Eskeles in Hietzing, damals ein Vorort von Wien. Er ist auf dem Jüdischen Friedhof Währing begraben. Aus einem Nachruf auf den 87jährig Verstorbenen: „Bernhard Freiherr von Eskeles, der Chef eines der ersten und geehrtesten Handelshäuser Europa’s, der Hauptbegründer der österreichischen Nationalbank, deren Director er gewesen, der Mann, dessen Rechtlichkeit fast sprichwörtlich geworden ist, dessen Haus der Sammelplatz alles dessen war, was Wien an Fremden und Einheimischen, Vornehmen und Geringen, vom Fürsten bis zum armen Künstler, Ausgezeichnetes besaß, war ursprünglich ein armer jüdischer Waisenknabe.“
Einlagebuch Nr. 1
Erste Österreichische Spar-Casse, 1819
Das allererste Sparbuch der Ersten Österreichischen Spar-Casse, ausgegeben 1819, gehörte einer Frau: Marie Schwarz.
Im frühen 19. Jahrhundert schritt die Industrialisierung zügig voran. Die Landbevölkerung strömte in die Städte und es entwickelten sich neue Gesellschaftsschichten, für die es bislang keine soziale Absicherung gab. Mit Beginn der 20er Jahre schuf die Erste mit der Errichtung von Zweigstellen ein Netzwerk, das alle Kronländer der Monarchie umfasste. Diese Niederlassungen, häufig in kleinen Zentren ländlicher Regionen, waren auf das engste mit der Ersten in Wien verbunden. Die Idee Sparkassen zu gründen fiel überall auf fruchtbaren Boden. Eine Idee, die sich auf lokaler Ebene im zweiten Wiener Gemeindebezirk bewährt hatte, entwickelte sich in den Ländern der Donaumonarchie zu einem Erfolgsmodell.
Mit nahezu denselben Statuten wie das ursprüngliche Institut wurden in weiten Teilen Österreichs, Zentral- und Osteuropas mehrere Sparkassen gegründet, unter anderem: 1822 in Laibach (heute: Ljubljana), Innsbruck, Bregenz und Spalato (Split), 1825 in Graz und Prag, 1831 in Görz (Gorizia), 1835 in Klagenfurt, 1835 in Ragusa (Dubrovnik) und Kronstadt (Brasov), 1839 in Pest (Budapest), 1841 in Hermannstadt (Sibiu) und Zara (Zadar), 1842 in Pressburg (Bratislava) und Triest sowie 1844 in Lemberg (Lwiw), Kaschau (Košice) und Tyrnau (Trnava). Heute würde man diese Banken als Social Businesses bezeichnen: nachhaltige – d.h. sich selbst tragende – Unternehmen, deren Ziel die Bekämpfung der Armut ist.
Die Erste zieht in ein größeres Haus im Zentrum von Wien, am Graben 21, das fast 200 Jahre lang der Sitz der Sparkasse sein sollte.
Die nächste Pionierleistung steht 1825 mit der Gründung der Allgemeinen Versorgungsanstalt unter dem Dach der Ersten an. Es ist die erste Sozialversicherung überhaupt. Erst ab 1889 wird es in Österreich eine gesetzliche Krankenversicherung geben, eine staatliche Pensionsversicherung wird erst 1906 eingeführt.
Das „Regulativ für die Bildung, Errichtung und Überwachung der Sparkassen“ von 1844 reagiert auf den durchschlagenden Erfolg der Sparkassenidee. Es schrieb die maximale Höhe von Einlagen vor und bekräftigte die Ziele Daseinsvorsorge und Armutsprävention. Es erlaubte außerdem formell eine gemeinwohlorientierte Tätigkeit, also neben dem gemeinwohlorientierten Geschäftszweck (Volkssparkasse) auch Spenden aus dem Geschäftsgewinn. Ab 1850 findet man regelmäßige Spenden an Spitäler, Stiftungen und Sozialeinrichtungen in den Rechnungsabschlüssen der Ersten.
Das „Goldene Zeitalter“ der Spendentätigkeit der Sparkassen beginnt in den 1870er Jahren, als mit den Gewinnen auch die Überschüsse stark anstiegen. Für karitative Organisationen werden in dieser Zeit durchschnittlich 62.000 Gulden pro Jahr gespendet, das entspricht umgerechnet etwa 930.000 Euro. Für verschiedene Wiener Krankenhäuser werden bis 1914 Geldmittel in der Höhe von umgerechnet rund 15 Millionen Euro gespendet. Hohe Beträge fließen ab 1899 in Armenspitäler und Rekonvaleszenzheime sowie 1898 in zwei Franz-Josef-Jubiläumsstiftungen für Volkswohnungen und Sozialheime. Auch an Kulturprojekten beteiligt sich die Sparkasse, so etwa an der Errichtung des Wiener Musikvereinsgebäudes.
Die Erste oesterreichische Spar-Casse stellt sich zusammen mit anderen Sparkassen des Reiches auf der Wiener Weltausstellung in einem eigenen Pavillon vor.
Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde auch den Sparkassen die Verwahrung und Verwaltung von Kriegsanleihen gestattet. Die Erste und andere Sparkassen wurden damit zu einem systemischen Faktor der Kriegsfinanzierung.
Die Sparkassen werden Handlanger bei der Sperrung von Guthaben jüdischer KundInnen und wirken an „Arisierungen“ von Immobilien und Sachwerten mit. Zwischen 1999 – 2007 beauftragte die Erste Bank Historikerinnen und Historiker die Rolle ihrer Vorgängerinstitute während der NS-Zeit aufzuarbeiten. Die wichtigsten Ergebnisse: Es wurden rund 320 geplünderte Konten von jüdischen Inhabern gefunden. Dreißig Hypothekarkredite, die der Bezahlung der „Reichsfluchtsteuer“ und anderer Steuern dienten, wurden ausgezahlt. In fünf Fällen kam es zu einer Beteiligung an „Arisierungen“ von Häusern in jüdischem Besitz, in sieben Fällen zu Übernahmen von Geschäftslokalen. Nach 1945 wurden alle Immobilien zurückgestellt bzw. Vergleiche geschlossen, allerdings unter hohem Wertverlust für die ursprünglichen Eigentümer. In Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde konnten zwei Drittel der Nachfahren der von „Arisierungen“ und Plünderungen Betroffenen ausfindig gemacht und Wiedergutmachungsbeiträge in Höhe von rund 700.000 Euro ausgezahlt werden. Der mangels Informationen über Erbberechtigte nicht ausgezahlte Betrag von 44.000 Euro wurde dem Sanatorium Maimonides für die Betreuung von Shoa-Überlebenden zur Verfügung gestellt. Mit rund 6,07 Millionen Euro unterstützte die Erste Bank den Allgemeinen Entschädigungsfonds der Republik Österreich.
Im Jahr 1969 schreibt Woodstock Musikgeschichte. Königin Elisabeth II. besucht Österreich und die Menschen erstmals den Mond. Die Concorde fliegt zum ersten Mal mit Überschallgeschwindigkeit. Im Oktober gelingt die erste Internetverbindung und die Erste österreichische Sparkasse wird 150 Jahre alt.
Das Jubiläumsplakat ist schönster Pop.
Die Erste überträgt ihren Geschäftsbetrieb auf eine Aktiengesellschaft, die neu gegründete Tochtergesellschaft Die Erste österreichische Spar-Casse AG. Die Sparkasse selbst heißt nun DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Anteilsverwaltungssparkasse, kurz: AVS. Sie ist das Vorgängerinstitut der ERSTE Stiftung.
Im März kauft die Erste die GiroCredit Bank AG und ändert ihren Namen in „Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG“. Im November schreibt die Erste Bank österreichische Finanzgeschichte und geht an die Börse. Es werden Aktien im Wert von sieben Milliarden Schilling (508 Millionen Euro) gezeichnet. Im Dezember wird die Aktie in den ATX, den österreichischen Leitindex, aufgenommen. Bis heute ist die Erste Bank ein Schwergewicht im ATX.
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