Very Normal, Very Normal – On utopia of urban rights lotet das Potential utopischer Zukunftsvisionen für Sarajevo aus. Wir befragten 13 Personen, von denen klare Hinweise oder zumindest herausfordernde Anregungen zu erwarten waren, was in der Zukunft aus Sarajevo werden und wie es aussehen könnte. Stattdessen wurde uns nach vielen Stunden reger Diskussionen klar, dass das, was eine „utopische“ Projektion heute ausmacht, dem ähnelt, was früher als normal galt. Die Normalität selbst ist zur Utopie geworden.
Um zu verstehen, was Normalität in einer Stadt wie Sarajevo bedeuten könnte, verglichen wir die Europäische Städtecharta I und II, basierend auf der einwandfreien und wundervollen Idee einer Stadt für jedermann und alle Tage, mit der Realität dieser Stadt. In Übereinstimmung mit dem Europarat wird in diesen Dokumenten, die ursprünglich 1992 verfasst und 2008 überarbeitet wurden, detailliert beschrieben, was eine Stadtlandschaft den europäischen BürgerInnen bieten sollte. Nichts Utopisches – sondern zunächst einmal eher einen erreichbaren Zustand schierer Normalität.
Vergleicht man die in der Charta umrissenen Punkte mit den Standpunkten und Meinungen der 13 DenkerInnen, AutorInnen, DesignerInnen, KulturproduzentInnen und KritikerInnen, mit denen wir in Sarajevo darüber gesprochen haben, wie die ideale Stadt der Zukunft aussehen sollte, wird der normative Charakter dieses Dokuments rasch untergraben. Die nach den Punkten der Charta gegliederten Fragmente der Gespräche über Sarajevo – eine Stadt, die so von ihrer Vergangenheit belastet ist, dass sie kaum bewusst im gegenwärtigen Moment lebt – weisen auf den flüchtigen und utopischen Charakter ihrer eigentlich sehr normalen Standards hin. Die Absurdität der erwarteten Rechte an der Stadt im Hinblick auf Sarajevo, verbunden mit den Hoffnungen unserer InterviewpartnerInnen, eine Form von Normalität zu entwickeln, haben einen Rahmen für die heutige Suche nach Utopie geschaffen.
Die Publikation Very Normal, Very Normal führt uns durch Zweifel, Dilemmas, utopische Geistesblitze, Pessimismus, gelegentlichen Optimismus, Motivationen und eine Reihe brillanter Ideen für das heutige Sarajevo und seine mögliche Zukunft. Das beiliegende Pickpad-Plakat führt uns in das Jahr 2023: eine Zeit, in der es keine Veränderung mehr gibt, eine Zeit der Retro-Utopie und des schwarzen Humors, eine Zeit, in der diese Stadt endlich in den Händen ihrer BürgerInnen gelandet ist.
Very Normal, Very Normal ist der vierte Teil der von STEALTH.unlimited initiierten Cities Log Forschungsreihe und untersucht die aktuelle Entwicklung von Städten in der postjugoslawischen Region und in Albanien. Die erste Ausgabe von Cities Log entstand anlässlich der vierten internationalen Biennale für Zeitgenössische Kunst in Tirana (2009). Die zweite Ausgabe, A(u)ction – Novi Sad’s Log of Spaces Between Personal Interests and Public Needs (2010), wurde gemeinsam mit Center_kuda.org und Kooperationspartnern aus Novi Sad entwickelt. Die dritte Ausgabe, What Pazar has in common(s)? (2012), entstand durch die Zusammenarbeit mit Emil Jurcan (Pulska Grupa) und der zivilgesellschaftlichen Organisation Urban In aus Novi Pazar im Rahmen des Projekts INtoOUTREACH. Beinah 75 GesprächspartnerInnen haben bislang an der Entstehung von Cities Log mitgewirkt. Cities Log wurde im Rahmen des Projekts Individual Utopia Now and Then initiiert.
Diese Publikation ist in der ERSTE Stiftung Bibliothek verfügbar.