KünsterInnen: Jan Čumlivski, D’epog, Ferenc Gróf, Nadácia Hermit a Centrum pre metamédiá Plasy, Nadácia pre mediálny výskum, Lucia Repašská, Spoločnosť pre nekonvenčnú hudbu (SNEH), Matěj Sýkora, Štúdio erté, Transmusic Comp
Kuratiert von: Dušan Barok, Ivana Rumanová
Eröffnung: 24. November 2021 um 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 24. November 2021 bis 1. April 2022
Die 1990er-Jahre liegen wohl lange genug zurück, um zu Fetisch- oder Ostalgiezwecken verwendet zu werden, als Trend herzuhalten oder kritisch reflektiert zu werden. So viel ist klar. Jenen, die damals die „Zeit ihres Lebens“ hatten, bleiben nur die Erinnerungen. Diejenigen von uns, die später kamen, fanden sich anstatt, wie versprochen, zu den erfolgreichen Kreativen zu gehören, als Teil eines Kulturprekariats wieder. Dieser Wandel provoziert und reizt uns, schafft aber jedenfalls einen Boden, der sich unter unseren Füßen verschiebt und es möglich macht, einen Blick zurück zu riskieren.
In unserem geopolitischen Kontext waren die 1990er-Jahre eine Zeit der Wende in der politischen Demokratisierung, der ideologischen und kulturellen Liberalisierung und des Übergangs zur Marktwirtschaft. Viele Kunst- und Kulturschaffende und Initiativen traten aus dem Untergrund ins Rampenlicht, und die Euphorie, die die Menschen glauben ließ, dass alles möglich sei, war in ihren Projekten und Realisierungen nicht zu übersehen. Rückblickend herrschte das Gefühl vor, dass wir nie näher dran waren und dass wir wie immer etwas verpassten. Das proklamierte Ende der Geschichte scheint nur darauf zu warten, dass wir es begrüßen, aber das haben wir nicht getan!
Die sozialen, wirtschaftlichen und auch kulturellen Unterschiede zwischen den postkommunistischen Ländern und dem Rest Europas werden noch immer aus Gewohnheit unserer Unreife, Rückständigkeit, mangelnden Vorbereitung auf die Demokratie oder der zwangsläufigen Folge von vierzig Jahren Totalitarismus zugeschrieben – eine Sackgasse, die in der großen Geschichte einfach nicht zählt. Gleichzeitig entgeht uns knapp und fortwährend die Realität, d. h. die Erfahrung der westlichen Welt und Europas, wir holen sie nie ein, so wie Achilles die Schildkröte nie einholt. Die Grenzen des „ehemaligen Ostens“ haben sich bis heute nicht gelockert: Sie verlaufen entlang der Routen der saisonalen ErntehelferInnen, der Maurer, die ins Ausland gehen, um Häuser zu bauen, um dann selbst eine Hypothek für ihr eigenes Haus aufnehmen zu können; sie folgen den Zweiwochenrhythmen der pendelnden Pflegekräfte, die ihre eigenen Eltern in Altersheimen unterbringen, und sie dirigieren die Automobilhersteller an Standorte mit ausreichend billigen und dennoch qualifizierten Arbeitskräften.
Gleichzeitig ermöglichte der von Boris Buden beschriebene endlose Übergangsprozess eine weitere Finte: Die „unterentwickelten“ und „rückständigen“ Länder wurden zu einem Laboratorium für radikale und drastische neoliberale Experimente, die in Westeuropa, wo noch Reminiszenzen an den Wohlfahrtsstaat vorhanden waren, undenkbar gewesen wären. Wilde Privatisierungen und Kasinokapitalismus waren von Gewalt, Korruption, Arbeitslosigkeit und Suizid begleitet, die als unvermeidlicher Tribut bzw. Kinderkrankheiten junger Demokratien ausgelegt wurden. Und auch wenn die Propheten der Deregulierung und Privatisierung behaupteten, dass es im Neoliberalismus keine Verlierer gäbe und wir alle gewinnen und mit jedem neuen Millionär reicher werden würden, hat sich das Ende der Geschichte für viele als Apokalypse erwiesen. Diese Apokalypse ist heute, dreißig Jahre später, zu unserer Alltagsrealität geworden, und anstatt sich im ultimativen Wohlstand und der Freiheit der liberalen Demokratie zu sonnen, stehen wir vor der Ausrottung der Menschheit und vieler anderer Arten.
Ist es noch sinnvoll bzw. haben wir noch die Kraft, etwas anderes als dystopische Vorstellungen zu entwickeln? Wie kann man sich der Euphorie und Sinnhaftigkeit der Kunstprojekte der Neunzigerjahre nähern, ohne in Nostalgie oder Erinnerungseskapismus zu verfallen?
Das Ausstellungsprojekt We Have Never Been Closer verknüpft Archivmaterial ausgewählter künstlerischer Initiativen, die Anfang der 1990er-Jahre in Zentraleuropa mit Formen des kollektiven Schaffens und der Vernetzung experimentierten: Studio erté in Nové Zámky, die Hermit Foundation und das Centre for Metamedia Plasy bei Pilsen, SNEH und Transmusic Comp. in Bratislava und die Media Research Foundation in Budapest. Da ihre Aktivitäten weitgehend dokumentiert sind, erhebt die Ausstellung in ihrer Rückschau keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr haben wir selektiv nach Reibungsflächen gesucht, die mit aktuellen Themen und der Hilflosigkeit, die uns angesichts dieser Themen befällt, in Verbindung stehen.
Die eingeladenen zeitgenössischen KünstlerInnen – Matěj Sýkora, Lucia Repašská, Ferenc Gróf, Jan Čumlivski – haben für die Projekte aus den 1990er-Jahren ein Umfeld geschaffen, das ihnen Respekt zollt, aber gleichzeitig die verdrängten, dunklen Aspekte des Wandels, dessen Folgen uns jetzt mit aller Wucht treffen, so ins Spiel bringt, dass wir sie leicht erkennen können. Das Projekt beinhaltet eine performative Intervention der Gruppe D’epog sowie diskursive Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung, die auch Gegenstand einer Dokufiktion sein werden. Vielleicht spricht aus uns letztendlich auch nur der Neid und wir würden uns wünschen, dass die Aussage „alles ist möglich“ eher ein Gefühl der Euphorie als der Bestürzung hervorruft. Die Ausstellung wird eine solche Umkehr gewiss nicht erreichen, aber vielleicht kommen wir der Sache zumindest ein Stück näher.
Für mehr Informationen besuchen Sie bitte tranzit.sk.
Die Ausstellung wird nur für vollständig geimpfte BesucherInnen zugänglich sein.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.
Titelbild: Ausstellungsimage. © tranzit.sk