steirischer herbst 2024: Horror Patriae

Nikolay Karabinovych "The Last Artwork about the War"

Von

19/09/24

Bis

13/10/24

Die 57. Ausgabe des steirischen herbst steht unter dem Titel „Horror Patriae“. Welche gigantische Leere steckt hinter dem gegenwärtigen Aufkommen von Nationalismen, Identitarismen und dem Kult um Wurzeln und Ursprünge? In diesem Superwahljahr, in dem in Österreich die Rechte wieder an die Macht kommen könnte, wendet sich der steirische herbst ’24 gegen die normalisierte milde Fremdenfeindlichkeit, die in Form von Wurzeln und Traditionen von Nationen und Gemeinschaften gefeiert wird. Das Festival spürt vernachlässigte und verschwiegene kosmopolitische Geschichten, kulturelle Vermischungen und seltsame Begegnungen auf – und tritt gegen die Behauptung der Reinheit und für „unreinen“ Internationalismus und militanten Kosmopolitismus ein.

Zentraler Schauplatz des heurigen Festivals ist ein Museum – historisch gesehen eine Fabrik der Nationenbildung, die semifiktionale Nationalgeschichten ersinnt. Die Ausstellung in der Neuen Galerie Graz mit der Arbeit von Nikolay Karabinovych entwirft ein alternatives Museum der nationalen Komplexe und dunklen Fantasien. Indem sie historische Erzählungen und zeitgenössischen Themen aufeinandertreffen lässt, erkundet sie den paradoxen Kern konstruierter Gemeinschaften und untersucht, wie große imperiale Fantasien mit der volkstümlichen Fetischisierung der kleinen Heimat koexistieren. „The Last Artwork About the War“ spielt dabei eine zentrale Rolle, beschäftigt sie sich mit doch kollektiven Falscherinnerungen, die die Identität des Menschen prägen.

Nikolay Karabinovych, Paint It Black (2019–), mit freundlicher Genehmigung des Künstlers

Nikolay Karabinovychs neuer Film erhebt den kühnen Anspruch, das letzte Werk über den andauernden Ukraine-Krieg zu sein – möglicherweise in der gesamten Kunstgeschichte. Er betrachtet den Krieg aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel und geht vom sogenannten Mandela-Effekt aus, einem unheimlichen Phänomen, bei dem sich Menschen unter dem Einfluss von Manipulation oder Fehlinformationen kollektiv falsch an historische oder popkulturelle Ereignisse erinnern. Diejenigen, die vom Effekt nicht betroffen sind, leben in einer anderen Wirklichkeit als ihre Freund:innen und Nachbar:innen.

Karabinovychs Arbeit zeigt eine psychoanalytische Sitzung, bei der anfangs nicht klar ist, wer der Analytiker und wer der Patient ist. Im Verlauf der Handlung wird deutlich, dass die Protagonisten zwei grundverschiedene Vorstellungen von der Realität haben, insbesondere davon, wie ein Sieg aussieht. Was sind die äußeren Zeichen und inneren Folgen eines Sieges? Im Dialog werden solche Fragen aufgeworfen und mit Erinnerungen an die verschiedenen Gesichter des Krieges vermischt – auch an die, die die Gesellschaft gerne vergessen würde.

Design: Grupa Ee

Die Auftragsarbeit des ukrainischen Künstlers zeigt eine psychoanalytische Séance, die von zwei Schauspielern gespielt und in einem langsamen kinematografischen Stil gefilmt wird. Schauplatz ist ein gemütliches Büro eines Psychoanalytikers. Es ist anfangs nicht klar, wer der Analytiker und wer der Patient ist. Die Schauspieler sprechen Englisch mit osteuropäischem Akzent. Im Laufe ihres Gesprächs wird deutlich, dass die Protagonisten zwei grundverschiedene Vorstellungen von der Realität haben, speziell davon, wie ein Sieg aussieht. Was sind die äußeren Zeichen und inneren Folgen eines Sieges? Der Dialog wirft Fragen in den Raum und vermischt diese mit Erinnerungen an die schrecklichen Gesichter des Kriegs – auch wenn die Gesellschaft diese gerne vergessen würde.

Künstler:innen und Kollektive

Sarnath Banerjee, Renate Bertlmann, Anna Boghiguian, Sergey Bratkov, Pablo Bronstein, Madison Bycroft, Ieva Epnere, VALIE EXPORT, La Fleur, Peter Friedl, Robert Gabris, Tomislav Gotovac, Assaf Gruber, Felix Hafner, Jan Peter Hammer, Thomas Hörl, Clara Ianni, Jakub Jansa, Nikolay Karabinovych, Alina Kleytman, Augustin Maurs, Mélange Oriental, Ari Benjamin Meyers, Marta Navaridas, Ingo Niermann und Erik Niedling, Yoshinori Niwa, Paulina Ołowska, Michèle Pagel, Hannes Priesch, Natalia Pschenitschnikova, Roee Rosen, Daniel Rycharski, Franz von Strolchen, Marko Tadić, Theater im Bahnhof, Helene Thümmel, Piotr Urbaniec, Thomas Verstraeten, Andreas Werner; herbstkabarett mit László Göndör, hannsjana, Bernadette Laimbauer, Annina Machaz, Piotr Urbaniec und Alex Franz Zehetbauer

Künstler:innen der Sammlung der Neuen Galerie Graz

AES+F, András Felvidéki, Wolf Gössler, Hans Werner Poschauko, Drago Julius Prelog, Paolo Tessari, Norbert Trummer, Franco Vaccari und weitere

Programm für den steirischen herbst ’24

Die ERSTE Stiftung fördert die Produktion von Nikolay Karabinovychs film The Last Artwork About the War


steirischer herbst

Der steirische herbst ist eines der ältesten interdisziplinären Festivals für zeitgenössische Kunst in Europa. Seit 1968 bietet das Festival neuen Produktionen eine Plattform, die öffentliche Debatten unterschiedlicher Art und quer durch alle Disziplinen hervorrufen und konturieren. Stets hat der steirische herbst die begrifflichen Grundlagen, was Kultur für das Zeitgenössische bedeuten könnte, neu definiert. Die unterschiedlichen Ausgaben des Festivals haben den Dialog zwischen den Künsten durch Kombination ästhetischer Positionen und theoretischer Reflexionen befördert und auf diese Weise bildende Kunst, Musik, Theater, Performance, Neue Medien, Literatur und alles, was dazwischen liegt, einbezogen. Dieser Punkt bleibt auch heute für den Festivalansatz von zentraler Bedeutung.

Nikolay Karabinovych (1988, Odessa, Ukraine) ist ein Künstler, der mit Medien wie Video, Performance, Klang und Skulptur arbeitet. Er erforscht die Sozialgeschichte Osteuropas und nähert sich dem kollektiven und persönlichen Gedächtnis mit analytischen, konzeptuellen und interventionistischen Taktiken. Seine Werke wurden in zahlreichen Institutionen gezeigt, etwa: M HKA, Antwerpen; Haus der Kulturen der Welt, Berlin; Jüdisches Museum von Belgien, Brüssel; Bozar, Brüssel. Daneben hat er unter anderem an der Kaunas Biennale (2023) und der Kyiv Biennale (2021, 2023) teilgenommen. Er lebt in Amsterdam.

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Florian Bauer

Direktor Social Finance, Nachhaltigkeit und Innovation
Florian Bauer zeichnet seit 2023 für die Bereiche Social Finance, Nachhaltigkeit und soziale Innovation in der ERSTE Stiftung verantwortlich. Davor war er über 13 Jahre lang im Bereich NGO & Social Entrepreneurship tätig. Florian leitete die Partnerschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz REEEP, eine internationale multilaterale NGO, die den verstärkten marktbasierten Einsatz erneuerbarer Energien und effizientere Energienutzung in Entwicklungsländern zum Ziel hat, und war Managing Director & COO des Impact Hub Vienna.   Von 2020-2023 schloss Florian für die Semantic Web Company (SWC), einem führenden Anbieter von semantischen KI-Lösungen, strategische Allianzen mit wichtigen Partnern und unterstützte die Entwicklung innovativer Anwendungen semantischer Technologien.
Stroke 240 + Stroke 241Created with Sketch.