Als der Sozialismus um 1989/90 zusammenbrach, ging man allgemein davon aus, dass auch der Kulturbereich in den sich demokratisierenden osteuropäischen Ländern bald international vernetzt, vielfältig, lebendig und staatlicher Kontrolle entzogen sein würde. Vor der Wende dienten Kulturinstitutionen in Warschau, Bukarest oder Prag als Orte politischer Inszenierung. Die Kunst war ideologisch besetzt und folgte einer staatlich gelenkten politischen Agenda. KünstlerInnen waren aufgefordert am Aufbau und Erhalt des Sozialismus mitwirken. Die freie, dissidente Kunst, die sich mit der Rolle repressiver Systeme oder gesellschaftlicher Realität kritisch auseinandersetzte, agierte im Privaten oder im Untergrund. Über dreißig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs findet man in vielen Städten Osteuropas noch immer wesentlich weniger Galerien, KunstsammlerInnen oder Kunstorte als im übrigen Europa. Will ein Künstler oder eine Künstlerin aus Osteuropa erfolgreich sein, geht er oder sie meist irgendwann nach Berlin, Wien oder London. Staatliche Kulturinstitutionen sind zwar keine Kulturpaläste mehr, bilden aber vielerorts noch immer den einzigen Rahmen für nichtkommerzielle Kunstproduktion und Ausstellungen. Freie Szenen haben es schwer Räume, Mittel und damit Publikum zu finden. Die Situation hat sich mancherorts sogar verschlechtert, vor allem dort, wo Regierungen wieder die Kunst benutzen, um Bilder einer kollektiven Identität, ruhmreichen Geschichte oder nationalen Identität zu zeichnen.
Wir haben tranzit 2002 gegründet. tranzit ist ein einzigartiges Netzwerk von unabhängigen Vereinen, die in Österreich, der Tschechischen Republik, Ungarn, der Slowakei und Rumänien sowie über die Grenzen / Randzonen Europas hinweg arbeiten. Jede der fünf tranzit-Inititativen arbeitet eigenständig und im Kontext der lokalen Kunstszene und der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. KünstlerInnen finden einen vielseitigen Raum vor, in dem Kunst produziert werden kann.
„Wir glauben an die Relevanz der zeitgenössischen Kunstinstitution als Ort der Freiheit, als egalitären Raum unvoreingenommener, poetischer und politischer Forschung und Bildung. Wir glauben an das Experiment; an widerständige, lokal verortete, grenzüberschreitende kulturelle Praktiken; und an das Risiko unfertiger Theorie.“
tranzit über tranzit
Methoden und Formate umfassen Ausstellungen, Vorträge, Diskussionen, Recherchen und Publikationen in allen denkbaren Ausdrucksformen und künstlerischen Settings. So entstehen tiefgründige Erfahrungen, die den Blick freigeben auf Zusammenhänge und eine Neubewertung der Zeitgeschichte. Die Kanons, geografischen Zuordnungen und vorherrschenden Narrative der (Kunst-)Geschichten Nachkriegseuropas werden infrage gestellt. Die Initiativen agieren in ständiger Dialektik zwischen lokalen und globalen kulturell sinnstiftenden Erzählungen.
Unabhängige, freie (Kunst-)Räume sind nicht nur flexibler, sondern setzten sich aufmerksamer mit der Rolle der Kunst und der kollektiven oder nationalen Identität auseinander. Kunst leistet einen existenziellen Beitrag für die Entwicklung einer pluralistischen, offenen und demokratischen Gesellschaft. Hauptaugenmerk von tranzit liegt in der Förderung gegenseitigen Verständnisses und grenzüberschreitendem Dialog, gerade in einem Europa, das von Nationalismus und wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit geprägt ist. Unabhängige Kultur- und Kunstinitiativen wie tranzit bilden eine wichtige kulturelle Säule für die immer noch jungen Gesellschaften Osteuropas, vor allem in Zeiten von mangelnder Finanzierung und politischer Instrumentalisierung von Kulturinitiativen. Wir brauchen neue und innovative Kunsträume, in denen experimentiert werden darf, sichere Orte für kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen und Tabuthemen. Dort kann es gelingen, dass Kunst einen niederschwelligen Zugang für die Mitte der Gesellschaft eröffnet.
Titelbild: Emília Rigová, Vomite ergo sum, 2018, Video, aus der Ausstellung Upon Us All Equally. tranzit statements for the future. 7.–9. November 2019, Bukarest
Artist-in-Residence-Programm Q21/MuseumsQuartier Wien
Jedes Jahr von Februar bis November bietet tranzit, gemeinsam mit der Igor Zabel Association for Culture and Theory, Kontakt Kunstsammlung und der ERSTE Stiftung ein Artist-in-Residence-Programm im Wiener MuseumsQuartier an. Bis zu sechs KünstlerInnen aus Kroatien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn haben die Möglichkeit, in der Stadt zu leben und in einem der Studios des MuseumsQuartiers zu arbeiten.
Stipendien für KuratorInnen und KünstlerInnen, Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg
In Zusammenarbeit mit tranzit.cz, tranzit.hu, tranzit.ro, tranzit.sk und der Igor Zabel Association for Culture and Theory bietet die ERSTE Stiftung fünf Stipendien für junge KünstlerInnen und fünf Stipendien für NachwuchskuratorInnen aus Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn an, die an einem Kurs ihrer Wahl an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg teilnehmen können.
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